Was muss man tun, wenn man auf eine Frage mit „nein” antworten will bzw. generelle Verneinungen zum Ausdruck bringen will? Das schauen wir uns jetzt mal genauer an.
Wir kennen ja schon kehe, nein, was man benutzen kann, um auf Ja/Nein-Fragen zu antworten. Was aber, wenn man ganze Sätze in sich verneinen will? Dafür haben wir ke. Ke muss immer direkt vor das zu verneinende Verb gestellt werden. Beispiele:
Oe slele. Ich schwimme.
Oe ke slele. Ich schwimme nicht.
Ngal syaksyukit atun tsole’a. Du hast den roten Prolemuris gesehen.
Ngal syaksyukit atun ke tsole’a. Du hast den roten Prolemuris nicht gesehen.
Oe tsun yivom tsat. Ich kann das essen.
Oe ke tsun yivom tsat. Ich kann das nicht essen.
„Srake ngal ‘uot li yolom fìtrr?” - „Kehe, ke yolom oel”. „Hast du heute schon etwas gegessen?” - „Nein, habe ich nicht.”
Diese „ke direkt vor’s Verb”-Regel gilt auch für si-Verben! Hierbei wird ke direkt vor si platziert:
Mefo uvan si. Die beiden spielen.
Mefo uvan ke si. Die beiden spielen nicht.
So weit, so einfach, oder? Nächstes Level:
Wie kommandiert man andere herum? In dem man den Imperativ, also die Befehlsform verwendet.
In der deutschen Sprache werden dafür normalerweise Verben gekürzt und/oder verändert, aus „gehen” wird „geh!” oder „geht!”. Aus „lesen” wird „lies!” oder „lest!”.
Auch Na’vi verändert u.U. Verben, um die Befehlsform zu bilden, macht sie dabei jedoch mit Hilfe des <iv>-Infix länger - oder sie bleiben einfach in ihrer Grundform bestehen. Das haben wir bereits in Lektion 13 gesehen:
Rutxe, pivlltxe. Sprich, bitte. (Mögest du bitte sprechen.)
Kivä neto! Hau ab! Geh weg! (Mögest du weggehen!)
Aynga neto rivikx! Bewegt euch weg! Tretet zurück! (Möget ihr euch weg bewegen!)
Ohne <iv> bleibt der Ton der Befehle also der gleiche:
Rutxe, plltxe. Sprich, bitte.
Kä neto! Hau ab! Geh weg!
Aynga neto rikx! Bewegt euch weg! Tretet zurück!
Wie man eine Aussage verneint, haben wir in Lektion 17 gelernt, nämlich mit ke. Der natürliche Impuls wäre wohl also, dass man ke auch für negative Befehle verwendet, doch das wäre falsch; denn dafür haben wir ein eigenes Wörtchen: rä’ä.
Es muss normalerweise (wie ke) vor das zu verneinende Verb innerhalb des negativen Befehls platziert werden, auch hierbei ist die Verwendung von <iv> (siehe oben) optional, scheint aber generell weniger häufig aufzutreten:
Rä’ä kivä! Geh(t) nicht!
Txopu rä’ä si! Hab’/habt keine Angst!
Sngum rä’ä si! Mach(t) dir/euch keine Sorgen!
Rä’ä fwi! Rutsch(t) nicht aus!
Rä’ä stivi. Sei nicht wütend/sauer.
Noch ein paar tolle Beispielsätze von Na’viteri.org:
Nim rä’ä lu! Pohu pivängkxo! Sei nicht scheu! Rede mit ihr!
Oeti rä’ä srätx. Nerv mich nicht. / Geh mir nicht auf den Keks.
Ngal new a tsa’ut rä’ä wivo, ma ‘evi. Vivin. Greif dir nicht einfach das was du haben willst, Kind. Bitte vorher darum.
Kea kem leyewla rä’ä si, rutxe. Bitte enttäusche mich nicht. (Wörtlich: Bitte mach keine enttäuschende Handlung.)
Stiwi rä’ä si, ma ‘eveng! Uvan si mì sengo alahe. Sei nicht frech/unartig, Kind. Geh woanders spielen.
Apropos Kinder und Zurechtweisung selbiger; es gibt sogar eine kurze Redensart, die sich spezifisch an unartige Kinder richtet:
Rä’ä räptum! Sei nicht (so) frech/unhöflich! Benimm’ dich!
Beachtet, dass hier das dazugehörige bzw. verneinte Verb (vermutlich lu bzw. livu) fehlt bzw. fallen gelassen wurde.
Doch hier gibt es im Gegensatz zu ke eine Ausnahme; rä’ä kann nämlich auch dahinter gestellt werden, um die Wirkung von rä’ä zu verstärken (siehe Hinweis zu „Gewicht” in Sätzen am Satzende in Lektion 3). Dadurch wird gegebenenfalls kontextabhängig aus „mach das nicht” eher ein „mach das bloß nicht” bzw. „wehe du machst das”:
Fwi rä’ä! Rutsch nicht aus! -oder- Rutsch bloß nicht aus! -bzw.- Wehe du rutscht aus!
Oeti ‘ampi rä’ä, ma skxawng! Rühr’ mich nicht an, Idiot! -oder- Wehe du rührst mich an, Idiot!
Haya yakro ftivang. Salew rä’ä. Halte bei der nächsten Abzweigung an. Geh/fahr/reite nicht weiter.
Tem rä’ä! Schieß nicht! / Nicht schießen!!
Beachtet bitte, dass dies aber nicht bei si-Verben möglich zu sein scheint, zumindest konnte ich dazu keine offiziellen Beispiele finden. Soll heißen, geht lieber auf Nummer Sicher und stellt rä’ä weiterhin zwischen den Hauptteil des si-Verbs und das Hilfsverb si, wie in z.B. txopu rä’ä si.
rä’ä vs. ftang
Es mag vielleicht von sich aus schon klar sein, aber der Vollständigkeit halber möchte ich es hier nochmal verdeutlichen:
Es ist ein Unterschied wenn ich sage „mach das nicht” im Vergleich zu „hör auf das zu machen”. Die beiden Aussagen sind nicht gleichwertig, auch wenn das „deutsche Hirn” gerne mal „lass das!” mit „mach das nicht!” gleichsetzt. Die Variante mit „hör auf”, ftang, setzt voraus, dass die entsprechende Handlung bereits begonnen hat bzw. gemacht wird. Bei negativen Befehlen mit rä’ä jedoch spielt das keine Rolle; da kann die Handlung bereits stattfinden, noch nicht stattgefunden haben oder stattgefunden haben.
Vergleicht selber:
Stiwi rä’ä si! Sei nicht frech!
Ftang stiwi sivi! Hör auf frech zu sein!
TL;DR: rä’ä geht immer, ftang nur, wenn die Handlung bereits und immer noch stattfindet.