Ers­te ein­fa­che Sät­ze + die vie­len Gesich­ter des „Seins”

Das Grund­ge­rüst eines jeden Satzes

Nach­dem wir uns jetzt für’s ers­te aus­rei­chend mit den Grund­la­gen der Aus­spra­che beschäf­tigt haben, schau­en wir uns doch direkt ein­mal ers­te ein­fa­che Sät­ze an.

Ein jeder Satz, egal ob auf Deutsch oder Na’­vi, benö­tigt eini­ge Ele­men­te, um sinn­voll zu sein und etwas aus­zu­sa­gen. Dafür braucht man immer ein Verb und zumin­dest ein Sub­jekt. Das Sub­jekt ist der­je­ni­ge, der die Hand­lung des Verbs macht und gleich­sam Dreh- und Angel­punkt des Sat­zes ist, qua­si der Star auf der Satz-Büh­ne. Beispiele:

Ich gehe.
Du jagst.
Er/Sie kocht.
Wir schla­fen.
Ihr lacht.
Sie ren­nen.

Ihr könnt das Sub­jekt eines Sat­zes rela­tiv ein­fach iden­ti­fi­zie­ren, indem ihr euch fragt: „Wer geht/jagt/kocht/… ?”

Dabei ist es erst ein­mal egal, ob der Satz auch ein Objekt beinhal­tet, also jemand oder etwas, der/das das Ziel der Hand­lung ist bzw. von die­ser Hand­lung direkt betrof­fen ist - denn wie wir gera­de gese­hen haben, funk­tio­nie­ren Sät­ze auch ohne Objekt (also das Etwas oder der­je­ni­ge, das/der gejagt oder gekocht wird). Wie wir Objek­te mit ins Spiel brin­gen ler­nen wir aber erst in der nächs­ten Lek­ti­on. Jetzt erst ein­mal wei­ter im Text.

Verb­kon­ju­ga­ti­on / Das Beu­gen bzw. Ver­än­dern von Tuwörtern

Im Deut­schen wer­den je nach ver­wen­de­tem Sub­jekt die Ver­ben konjugiert/gebeugt/verändert: Aus der Aus­gangs­form „gehen” wird „Ich gehe”, „Du gehst”, „Er geht”, „Wir gehen”, und so wei­ter. Auf Na’­vi wer­den Ver­ben auf die­se Wei­se nicht ver­än­dert; es wird immer die Aus­gangs­form ver­wen­det, ganz egal, wel­ches Sub­jekt im Satz vor­kommt. Über­set­zen wir mal die Bei­spiel­sät­ze von gera­de eben:

Ich gehe. Oe . = gehen
Du jagst. Nga taron. taron = jagen
Er/Sie kocht. Po ‘em. ‘em = kochen
Wir schla­fen. Awnga hahaw. hahaw = schlafen
Ihr lacht. Aynga hangham. hangham = lachen
Sie ren­nen. Ayfo tul. tul = rennen

Wür­de man es 1 zu 1 über­set­zen, sagen die Na’­vi also qua­si „Ich gehen”, „Du jagen”, „Er/Sie kochen”, „Wir schla­fen”, „Ihr lachen”, „Sie ren­nen”. Bei „wir” und „sie” passt das glück­li­cher­wei­se auch, aber bei den ande­ren denkt sich das deut­sche Hirn, „Bit­te was?” ;) Es macht daher natür­lich nur Sinn es so zu über­set­zen, wie das auf Deutsch gut bzw. rich­tig klin­gen würde.
Ihr seht hier aber, dass die Na’­vi das so erst ein­mal wesent­lich ein­fa­cher hand­ha­ben als wir Deutsch­spra­chi­gen. Na, wenn das nicht die ers­te gute Nach­richt ist ;D

Wort­stel­lung / Wort­ord­nung / Syntax

Dabei ist es übri­gens egal, in wel­cher Anord­nung wir die Wör­ter im Satz ver­pa­cken, denn die Na’­vi haben eine mehr oder min­der freie Wort­stel­lung. Soll hei­ßen, dass man Wör­ter in Sät­zen weit­ge­hend so her­um wür­feln kann, wie man lus­tig ist, ohne dabei die grund­le­gen­de Bedeu­tung des Sat­zes zu ver­än­dern.
In der deut­schen Spra­che ist dies defi­ni­tiv anders, denn sie hat fest­ge­leg­te Wort­stel­lun­gen, die die Bedeu­tung des Sat­zes defi­ni­tiv beeinflussen.
Wenn man „Ich gehe” her­um­dreht, wird dar­aus direkt eine Fra­ge, näm­lich „Gehe ich?”. In der Spra­che der Na’­vi gibt es die­sen Effekt aber nicht:
Egal ob „Oe ” oder „ oe”, bei­des bedeu­tet „Ich gehe”.

Das klei­ne Gram­ma­tik-ABC für die­se Lektion
  • Sub­jekt: Der­je­ni­ge im Satz, der die Hand­lung tut, Dreh- und Angel­punkt des Sat­zes, „Han­deln­der”. - „Wer?
  • Verb: Tuwort, Hand­lung, Akti­on des Sat­zes. Das, was das Sub­jekt des Sat­zes tut.
  • Objekt: Der­je­ni­ge im Satz, der Ziel der Hand­lung ist. „Betrof­fe­ner”. - „Wen?
  • Kon­ju­ga­ti­on: Beu­gung bzw. Ver­än­dern von Ver­ben, je nach ver­wen­de­tem Sub­jekt. - „gehen; Ich gehe, du gehst, er geht.”
  • Adjek­tiv: Eigen­schafts­wort, z.B. schnell, grün, schlau, groß, alt, müde.

Die vie­len Gesich­ter des „Seins”

Auf Deutsch kön­nen wir sagen, „Ich bin Kris”, „Ich bin Jäger”, „Ich bin schnell”, „Ich bin müde”, „Ich bin zu Hau­se” und so wei­ter. Hier wird für all die­se Vari­an­ten ein uns das­sel­be Grund­verb ver­wen­det: „sein”. Auf Deutsch funk­tio­niert das so also, auf Na’­vi aller­dings nicht - denn für all die­se ver­schie­de­nen Aus­sa­gen bzw. die ver­schie­de­nen Arten des „Seins” haben die Na’­vi ver­schie­de­ne Ver­ben.

Wenn man ver­su­chen wür­de, die­se Sät­ze zu über­set­zen, wür­de man im Wör­ter­buch wahr­schein­lich als ers­tes das Wört­chen lu fin­den, aber auch eini­ge ande­re, die etwas mit „sein” zu tun haben - Ver­wir­rung vor­pro­gram­miert. Doch bevor ihr euch davon ver­wir­ren lasst, lasst mich erklären. :D

Lu

Die­ses Verb ist defi­ni­tiv schon ein­mal eine gute Rich­tung. Es heißt tat­säch­lich ein­fach nur „sein” und kann für haupt­säch­lich drei ver­schie­de­ne Aus­sa­gen ver­wen­det werden:

  1. Oe lu taro­nyu. Ich bin (ein/der) Jäger. — Nga sa’nok lu. Du bist (eine/die) Mut­ter. — Ney­ti­ri nar­lor lu. Ney­ti­ri ist schön.
    Hier wird lu ver­wen­det, um den Zustand von etwas oder jeman­den aus­zu­drü­cken, qua­si wie ein Gleich­heits­zei­chen: Ich = Jäger, Ney­ti­ri = schön, usw.
  2. Aun­gia lu. Es gibt ein Zei­chen / (da) ist ein Zeichen.
    Hier wird die gene­rel­le Exis­tenz oder das Vor­kom­men von etwas ausgedrückt.
  3. Oeru lu puk. Mir ist ein Buch = Ich habe ein Buch.
    Eine Mög­lich­keit, um Besitz aus­zu­drü­cken. Mehr Details dazu und wei­te­re Vari­an­ten gibt’s aber erst später.

Hier ist vor allem Punkt 1 wichtig:
Oe lu taro­nyu. Ich bin Jäger.
Ich bin Jäger, Ich = Jäger; Oe lu taro­nyu, Oe = taro­nyu.

Das funk­tio­niert wun­der­bar, auf Deutsch sowie auf Na’vi.
Das kann man auch mit Adjek­ti­ven wie „schnell” machen, also auch mit dem Bei­spiel­satz „Ich bin schnell”:

Oe lu win. Ich bin schnell.
Oe lu win, Oe = win; Ich bin schnell, Ich = schnell.

Doch kann man das nun auch für die ande­ren Bei­spie­le von gera­de eben anwen­den? Was ist mit „Ich bin Kris”?

Syaw

Ok, auf Deutsch wür­de man wahr­schein­lich eher sagen „Ich bin die Kris” (ein Unding! ;P) oder ein­fach nur „Ich hei­ße Kris”. Und ähn­lich wie „Ich hei­ße Kris” sagen das auch die Na’­vi; sie ver­wen­den hier­für nicht lu, son­dern syaw („rufen, nen­nen”):

Oeru fko syaw Krr­sì. Zu mir man ruft Kris = Man nennt mich Kris = Ich hei­ße Kris.

Dies ist eine fixe Scha­blo­ne, die ihr ger­ne ver­wen­den dürft und sollt. Auch hier­bei dürft ihr, da Na’­vi eine freie Wort­stel­lung hat, die Wör­ter so her­um­wür­feln, wie es euch am bes­ten gefällt:

Oeru syaw fko Krr­sì, Krr­sì syaw fko oeru, Syaw fko oeru Krr­sì und so wei­ter, es bedeu­tet immer „Ich hei­ße Kris”.

Natür­lich könn­te man auch ein­fach Oe lu Krr­sì(Oe = Krr­sì) sagen - jedoch klingt dies eher ein wenig unbe­hol­fen. „Oeru fko syaw _Name_” ist defi­ni­tiv näher an der Art und Wei­se, wie die Na’­vi es sagen würden.
-
War­um Krr­sì und nicht Kris? Nun, so wäre es rich­tig, wenn man mei­nen Namen in das Laut­sys­tem bzw. die Sil­ben­re­geln der blau­en Spra­che über­tra­gen wür­de. In der Lek­ti­on „Namen sind nur Schall und Rauch” wird die­ses The­ma näher behandelt.

Ver­sucht euch doch ein­mal an einem ers­ten Gespräch mit ande­ren Ler­nen­den und stellt euch vor - ver­wen­det dabei aber bit­te euren eige­nen Namen, es sei denn, ihr heißt auch Kris ;D

efu

Und was ist mit „Ich bin müde”? Der ers­te Ver­such es zu über­set­zen wür­de wahr­schein­lich in etwas wie „Oe lu ngeyn” mün­den, jedoch könnt ihr euch sicher schon den­ken, dass dies so nicht funk­tio­niert. Denn die Na’­vi sagen qua­si „Ich füh­le (mich) müde” - und wenn ich im Wör­ter­buch nach­schla­ge, spuckt es mir für „füh­len, emp­fin­den, wahr­neh­men” das Verb ‘efu aus.
‘efu wird für inne­re Gefüh­le und Emp­fin­dun­gen ver­wen­det, nicht für den Tast­sinn - dafür gibt es ande­re Verben.

Oe ‘efu ngeyn. Ich füh­le (mich) müde = Ich bin müde.

Auch hier darf man die Wör­ter wie­der her­um jon­glie­ren, ohne die Bedeu­tung zu ver­än­dern: Oe ngeyn ‘efu, ‘efu oe ngeyn, Ngeyn ‘efu oe, usw. - heißt alles „Ich bin müde”.

Tok

Okay, und was ist mit unse­rem letz­ten Bei­spiel, „Ich bin zu Hau­se”? Dafür gibt’s doch sicher auch ein ande­res Wort als lu, oder?

Jep, genau so ist es ;) Wenn man näm­lich „Oe lu kel­ku” sagen wür­de, wür­de dies ja „Ich = Haus; Ich bin ein/das Haus” bedeu­ten - und das ist ja nicht das gewünsch­te Ergebnis.

 

Statt­des­sen gibt es das Verb tok:
tok (räum­lich) sein, an einem Ort sein, sich an einem Ort befin­den; einen Ort fül­len, räum­lich einnehmen.

Die­ses Verb ist jedoch tran­si­tiv, was in Kür­ze gesagt nur bedeu­tet, dass es ein Objekt haben kann:

Oel tok kel­ku­ti. Ich bin (räum­lich) zu Hause.

Aber was es mit die­sem „tran­si­tiv” auf sich hat und war­um auf ein­mal ein L an oe und ein TI an kel­ku dran hängt, schau­en wir uns erst in der nächs­ten Lek­ti­on genau­er an. :P

Ihr habt es viel­leicht schon selbst fest­ge­stellt: Die Na’­vi haben bzw. ver­wen­den kei­ne Arti­kel. Arti­kel sind klei­ne Wört­chen wie „der, die, das” oder „ein, eine”.
Oe lu taro­nyu kann also heißen:
Ich bin Jäger.
Ich bin ein Jäger.
Ich bin der Jäger.
-
Woher weiß man, wann man es als „ein” oder „der” Jäger über­set­zen soll? Nun… je nach Kon­text bzw. wie es sich für euch am bes­ten anhört. ;P
Die­se Lek­ti­on dürf­te schon rela­tiv deut­lich gemacht haben, dass die Na’­vi vie­les anders aus­drü­cken als wir Deutsch­spra­chi­gen. Dies wer­den wir auch in Zukunft immer wie­der beob­ach­ten kön­nen; daher rate ich euch:
  • 1zu1-Über­set­zun­gen sind sel­ten eine gute Idee, daher pre­di­gen die „alten Hasen” der Spra­che immer wie­der, „Über­set­ze die Bedeu­tung, nicht die Wörter”.
    Über­prüft daher, was Sät­ze auf Deutsch genau aus­sa­gen wol­len. Was genau bedeu­ten sie? Gibt es ande­re Wege oder Wör­ter, wie man das auf Deutsch aus­drü­cken könnte?
  • Wenn ihr im Wör­ter­buch sucht, über­prüft genau und in Ruhe wel­ches Ergeb­nis am ehes­ten pas­sen könn­te, denn so wie wir es jetzt mit „sein” erlebt haben, haben die Na’­vi für vie­le deut­sche Verben/Wörter etli­che ver­schie­de­ne Vari­an­ten, die alle etwas ande­res bedeu­ten und ent­spre­chend ver­wen­det wer­den. Also, Augen auf! ;)
  • Wenn ihr euch mal nicht sicher seid oder nicht wei­ter wisst: Bit­tet um Hil­fe! Es ist noch kein Meis­ter vom Him­mel gefal­len und Hil­fe gibt’s hier oder auf Kelutral.org gra­tis mit dazu - ihr müsst euch nur melden :)

Übung I:

Fal­scher Short­code initialisiert

Voka­beln: tul = ren­nen; hahaw = schla­fen; rol = sin­gen; sle­le = schwim­men, tìran = gehen, spa­zie­ren, wan­deln; yom = essen.

Übung II:

Fal­scher Short­code initialisiert

Übung III:

Lest fol­gen­de kur­ze Geschich­te und das dar­in ent­hal­te­ne Gespräch laut mit:

Nawai hu tsmuke sneyä alu Ikani kxamna’rìng tìran. Mefo ‘awsiteng pängkxo. Nawai und ihre Schwes­ter Ika­ni spa­zie­ren durch den Wald. Die bei­den unter­hal­ten sich.
Ika­ni: Peu lu tsaw?
Nawai: Tsaw kali’weya lu.
I: Ulte tsaw lu peu?
N: Lu ‘ewll.
I: Ulte tsaw peu lu?
N: Tsahey, newomum nga nìtxan! Fnu set.
Ika­ni: Was ist das?
Nawai: Das ist eine Spinne.
I: Und was ist das?
N: Das ist eine Pflanze.
I: Und was ist das?
N: Mein lie­ber Schol­li, bist du neu­gie­rig! Sei jetzt still.

Bonus­fra­ge: War­um bedeu­tet der Satz „Lu ‘ewll” hier nicht „Es gibt eine Pflan­ze”?

Es heißt „Das/es ist eine Pflan­ze”, da Nawai auf die Fra­ge von Ika­ni antwortet:
Tsaw lu peu? Das ist was? / Was ist das?
(Tsaw) lu ‘ewll. (Das) ist eine Pflanze.

Das tsaw für „das” wird ein­fach nicht wie­der­holt, sprich aus­ge­las­sen, obwohl es den­noch gemeint / impli­ziert ist.