Sein oder nicht sein - das ist hier nicht die Frage. Sondern, wie die Na’vi das mit diesem Verb handhaben.
Auf Deutsch können wir sagen, „Ich bin Kris”, „Ich bin Jäger”, „Ich bin schnell”, „Ich bin müde”, „Ich bin zu Hause” und so weiter. Hier wird für all diese Varianten ein uns dasselbe Grundverb verwendet: „sein”. Auf Deutsch funktioniert das so also, auf Na’vi allerdings nicht - denn für all diese verschiedenen Aussagen bzw. die vier Arten des „Seins” haben die Na’vi verschiedene Verben:
Lu
In der letzten Lektion und auch davor ist dir dieses Verb bereits begegnet. Es heißt „sein”, bildet also „ich bin, du bist, er/sie/es ist, wir sind, ihr seid, wir sind”.
- Es ist eine Art Gleichheitszeichen (=), um den Zustand oder ähnliches von etwas oder jemandem zu beschreiben, einem Substantiv also ein Prädikat zuzuordnen, wie in der letzten Lektion gesehen,
- oder wird bei den Na’vi auch verwendet, um Besitz auszudrücken („Mir ist etwas → Ich habe etwas”).
- Die Na’vi verwenden lu aber noch für eine dritte Verwendungsmöglichkeit, nämlich für allgemeine Existenz oder das Vorhandensein von etwas.
All seine Verwendungen fasse ich noch einmal für dich zusammen:
- Prädikate / prädikative Adjektive:
- Oe taronyu lu. - Ich bin Jäger.
- Oe win lu. - Ich bin schnell.
Lu fungiert hier quasi als Gleichheitszeichen, „Oe = taronyu”, „Oe = win”.
- Besitz / „haben”:
- Oeru puk lu. - Mir ist ein Buch. = Ich habe ein Buch.
Besitzangabe („haben”) mittels des indirekten Objekts (R-Endung) und lu.
- Oeru puk lu. - Mir ist ein Buch. = Ich habe ein Buch.
- Allgemeine Existenz / allgemeines Vorhandensein:
- Aungia lu. - Es gibt ein Zeichen. / (Da) ist ein Zeichen.
Ohne weitere Elemente verhilft lu zu einer allgemeinen Aussage über die Existenz oder das Vorhandensein von etwas oder jemandem (Subjekt).
- Aungia lu. - Es gibt ein Zeichen. / (Da) ist ein Zeichen.
Darüber hinaus findet dieses Wörtchen kaum Anwendung. Doch was ist mit „Ich bin Kris” und so weiter? Nun, da kommen andere Verben ins Spiel:
Syaw
Ok, auf Deutsch würde man wahrscheinlich eher sagen „Ich bin die Kris” (ein Unding! ;P) oder einfach nur „Ich heiße Kris”. Und ähnlich wie „Ich heiße Kris” sagen das auch die Na’vi; sie verwenden hierfür vorzugsweise syaw („rufen, nennen”):
Oeru fko syaw Krrsì. - Zu mir man ruft Kris. = Man nennt mich Kris. = Ich heiße Kris. = Ich bin Kris.
Diesen Satz kann man auch kürzen, und zwar indem man das Subjekt (fko / „man”) einfach weglässt:
Oeru syaw Krrsì. - Ich bin / heiße Kris.
Natürlich darf man auch hier dank der freien Wortstellung die Wörter so herumwürfeln wie man lustig ist. Beachte dabei nur, deinen Namen statt meinen (Krrsì) zu verwenden - es sei denn, du heißt ebenfalls Kris
‘efu
Und was ist mit „Ich bin müde”? Der erste Versuch es zu übersetzen würde wahrscheinlich in etwas wie „Oe lu ngeyn” münden, jedoch kannst du dir sicher schon denken, dass dies so nicht funktioniert. Denn die Na’vi sagen quasi „Ich fühle (mich) müde” - und wenn ich im Wörterbuch nachschlage, spuckt es mir für „fühlen, empfinden, wahrnehmen” das Verb ‘efu aus.
Dieses Verb wird für innere Gefühle und Empfindungen verwendet.
In einem Satz angewendet erhalten wir dann so was wie:
Oe ‘efu ngeyn. - Ich fühle (mich) müde. = Ich bin müde.
Oe ‘efu nitram. - Ich fühle (mich) glücklich. = Ich bin glücklich.
Oe ‘efu spxin. - Ich fühle (mich) krank. = Ich bin krank.
Tok
Okay, und was ist mit unserem letzten Beispiel, „Ich bin zu Hause”? Dafür gibt’s doch sicher auch ein anderes Wort als lu, oder?
Jep, genau so ist es Wenn man nämlich „Oe lu kelku” sagen würde, würde dies ja „Ich = Haus; Ich bin ein/das Haus” bedeuten - und das ist ja nicht das gewünschte Ergebnis.
Stattdessen gibt es das Verb tok, was so viel heißt wie „(räumlich) sein, an einem Ort sein, sich an einem Ort befinden; einen Ort füllen, räumlich einnehmen.”
Dieses Verb ist jedoch transitiv. Erinnerst du dich? Transitive Verben (vtr.) und direktes Objekt (T-Endung)? Genau, die Na’vi lösen das mittels L und T-Endung:
Oel tok kelkuti. - Ich befinde mich zu Hause = Ich bin (räumlich) zu Hause.
Oe kelku lu. - Oel kelkuti tok.
Okay, jetzt bist du wieder gefragt!
Du hast dich während dieser Lektion vielleicht gefragt, „Moment, es gibt doch noch so etwas wie ‘Ich bin am jagen’, oder ‘Ich bin aus Stadtname’, was ist damit?” - Nun, um das auszudrücken, benötigen wir je eine komplett andere Konstruktion, und die würde den Rahmen dieser Lektion sprengen. Aber keine Sorge, ich komm darauf in naher Zukunft schon noch zu sprechen